Zuletzt aktualisiert Februar 28, 2023

Hierzulande schlachten wir zehnfach so viele Nutztiere, wie es Menschen gibt - jedes Jahr 1. Wir leben in einem Land der Fleischessenden, das lässt sich nicht leugnen. Gleichzeitig hat Deutschland eine hohe Anzahl vegetarisch lebender (11 %, also acht Millionen) und vegan lebender Personen (1 %, ca. 870.000). Die überwiegende Mehrheit der Menschen spricht sich jedoch gegen Tierquälerei und für Tierwohl aus (ca. 80 %). Warum spiegelt sich das nicht in den Zahlen für die Ernährungsweise wider? Ein Beitrag zu dem Thema, wie Karnismus unsere Gesellschaft und unser Handeln beherrscht.

Jeder Mensch, der sich mit Ernährung und vor allem pflanzenbasierter Ernährung beschäftigt, wird mit folgenden Glaubenssätzen und Aussagen konfrontiert:

  • Aber es ist doch normal, Fleisch zu essen!
  • Unsere Vorfahren machen es schon immer so.
  • Fleisch ist essenziell für eine gesunde Ernährung.
  • Und ja, Fleisch schmeckt eben.

Es ist doch paradox

Je mehr sich an veganer Ernährung interessierte Menschen mit dem Thema befassen, desto schneller erweisen sich die Annahmen als falsch oder fehlerhaft. Vor allem das „Fleisch-Paradoxon“ 2 3 4 5 ist wissenschaftlich gut erforscht:

Menschen wollen Tieren kein Leid zufügen, doch rationalisieren das gewaltsame Schlachten dieser Lebewesen, um weiterhin Fleisch essen zu können, ohne sich dabei schlecht zu fühlen.

karnismus erkennen

Karnismus erkennen

In ihrer Doktorarbeit erklärt Sozialpsychologin Melanie Joy dies mit dem Begriff des „Karnismus“. Es ist ein System aus Überzeugungen, welches das Essen bestimmter Tiere rechtfertigt und vor allem das Mitgefühl gegenüber den verspeisten Lebewesen, das wir spüren, enorm vermindert.

Tiere werden zum Objekt und zählen für uns nicht mehr als fühlende Wesen – außer natürlich, es handelt sich um domestizierte Haustiere wie Hund und Katze. Die stehen bekanntlich in manch anderen Ländern auch auf der Speisekarte.

Karnismus Melanie Joy

Fleisch zu essen ist also keineswegs „normal“, sondern ein Produkt der gesellschaftlichen Mechanismen, die uns umgeben und sozialisieren.

Das System des Karnismus und der Objektifizierung verzerrt unsere Fähigkeit, selbstbestimmt zu leben und verwehrt uns als Blockade den Weg zu einer mehr pflanzenbasierten Ernährung.

Handelst du gegen deine wahren Werte?

Die Überzeugungen und Glaubenssätze des Karnismus überlagern unsere inneren Signale und erschweren es uns – oder machen es gar unmöglich – unsere eigenen Werte und Gefühle auszuleben.

Wir erachten Tiere als gleichwertig, doch fördern durch den Fleischkonsum ein gewalttätiges System, das Lebewesen ausbeutet und missbraucht. Dahinter verbergen sich, wie Studien belegen, Machtstrukturen, die den Mensch als den Tieren überlegen ansehen 6 7. Dabei ist der Mensch auch nur ein Tier unter vielen.

Wir handeln also bewusst und unbewusst auf eine Art, die im Widerspruch zu unserer Überzeugung steht. Diese kognitive Dissonanz zu bemerken, den Karnismus erkennen, ist ein wichtiger Schritt, um die Blockade zu lösen und das eigene Handeln mit den eigenen Werten und Überzeugungen in Einklang zu bringen.

Karnismus Werte

Inspiration - Blockade des Karnismus loswerden

Doch wie genau ist es möglich, der Objektifizierung und dem Karnismus zu entkommen?

Hierfür gibt es wissenschaftlich-fundierte Strategien, die einfach umzusetzen sind.

Strukturelle Probleme, wie zum Beispiel mangelnden Zugang zu pflanzenbasierten Produkten, oder politische Hindernisse, die der Lösung der Blockade im Weg stehen, sollen hier außen vor gelassen werden.

An dieser Stelle geht es um Möglichkeiten, die in deiner Macht liegen, sodass du selbst den Weg zurück zu einer wahrlich selbstbestimmten Lebensweise nach deinen eigenen Werten finden kannst.

Strategie 1: Informiere dich

Noch immer besteht viel Unklarheit darüber, wie sich der enorme Fleischkonsum auf unserer Welt auswirkt. So zeigte eine internationale Umfrage, dass sich lediglich 30 % der befragten Personen der belegten negativen Auswirkungen der Fleischindustrie auf die Umwelt bewusst sind 8.

Auch die Tatsache, dass der Verzehr von Fleisch anscheinend die Anfälligkeit für Krebs oder Herzkrankheiten erhöht 9 10, wird gerne unter den Tisch gekehrt.

Wer Nutztiere als Objekt zur Lebensmittelproduktion sieht, spricht ihnen zudem ab, dass sie ebenso Emotionen haben und leidensfähig sind, wie unsere geliebten Hunde und Katzen.

Aufklärung und Informationen allein reichen natürlich nicht, um eine Verhaltensänderung auszulösen oder eine Blockade zu überwinden. Sie fördern aber einen mentalen Umschwung – weg vom blockierten Leben, hin zur motivierten Selbstbestimmung.

Strategie 2: Folge veganen Vorbildern

Eine Möglichkeit, deine eigene Motivation zu steigern auf Fleischkonsum zu verzichten, liegt in einer anderen Art von Konsum: nämlich welche Inhalte du über die Medien aufnimmst.

Je länger und öfter du mit veganen Vorbildern konfrontiert wirst, desto normaler wird diese Lebensweise für dich. Du siehst anhand realer Beispiele wie es Menschen geht, die sich pflanzenbasiert ernähren. Dadurch wirst du der Beeinflussung durch die Gesellschaft und die Wirtschaft nicht entgehen, doch kämpfst aktiv gegen die psychische Abstumpfung an, die zum Karnismus und zur Objektifizierung beiträgt.

  • Eatthisorg, vegan-lebendes Pärchen und Food-Blogger auf Instagram;
  • Laurafruitfairy, vegane Influencerin auf Instagram;
  • Bianca Zapatka, gelernte Köchin und Food-Stylistin, die vor allem vegane Rezepte auf Instagram teilt;
  • CatyCake, vegane YouTuberin;
  • VeggieWorld, Instagram-Account der vegane Food-Messe.

Natürlich gibt es noch viel mehr Menschen, die online über ihre pflanzenbasierte Lebensweise bloggen, in allen denkbaren Sprachen. Finde heraus, wer dir am meisten zusagt!

Strategie 3: Versuche es einmal „flexigan“

Für die meisten Menschen geschieht der alltägliche Fleischkonsum unbewusst. In der Wissenschaft wird hier gerne Bordieus  „Habituskonzept“ herangezogen, denn Fleischessen stellt eine Grundregel dar, die von den meisten Menschen nicht hinterfragt wird 11.

Studien belegen, dass einer der Hauptgründe, warum Menschen ihren Fleischverzehr nicht reduzieren, den Gewohnheiten und Routinen im Alltag geschuldet ist 12 13 14.

Das kennen wir alle: Es ist immer schwer, bei neuen Verhaltensweisen von Null auf 100 % zu gehen. Deshalb solltest du deine Ansprüche an dich nicht zu hoch setzten. Natürlich ist dein Ziel, vollkommen in Einklang mit deinen inneren Bedürfnissen und Werten zu leben – und dadurch die Welt jeden Tag ein Stückchen besser zu machen. Doch es ist vollkommen legitim, vielleicht sogar empfehlenswert, wenn du dich in deinem Tempo an den neuen Lebensstil herantastest.

Versuche es also flexigan: Soweit möglich ernährst du dich pflanzenbasiert, aber verbietest dir nicht, tierische Produkte zu essen. Je länger du dies tust, desto mehr wirst du merken, wie erfüllend eine vegane Lebensweise für dich ist, und desto leichter wird es dir wiederum fallen, auf Fleisch zu verzichten.

Jetzt bist du dran: Welche Möglichkeiten fallen dir noch ein?

Es sind sicher mehr, als du denkst. Denn am Ende des Tages weißt du am besten, was du brauchst, und bald hat sich deine Blockade vollständig gelöst. Alle Tiere zählen für dich als gleichwertige Lebewesen, denen kein Leid widerfahren soll und du kannst dich nicht mehr mit Menschen identifizieren, welche Tiere als Objekte behandeln.

Dein Weg dorthin beginnt jetzt! Mach den ersten Schritt.

Hier geht's zum Übersichtsartikel für alle Blockaden deiner Selbstregulation in der Ernährung.

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Quellenverzeichnis

  1. Heinrich Böll Stiftung. (2018). Fleischatlas - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel.[]
  2. Herzog, H. (2014). The Story Behind the Book: Some We Love , Some We Hate , Some We Eat. November.[]
  3. Loughnan, S., Bastian, B., & Haslam, N. (2014). The Psychology of Eating Animals. Current Directions in Psychological Science, 23(2), 104–108.[]
  4. Loughnan, S., Haslam, N., & Bastian, B. (2010). The role of meat consumption in the denial of moral status and mind to meat animals. Appetite, 55(1), 156–159.[]
  5. Joy, M. (2009). Why we love dogs, eat pigs, and wear cows. Red Wheel/Weiser[]
  6. Pfeiler, T., & Wenzel, M. (2015). Psychologie – Von Mensch zu Tier. In Disziplinierte Tiere? Perspektiven der Human-Animal Studies für die wissenschaftlichen Disziplinen (pp. 189–228). Transcript.[]
  7. Noske, B. (2008). Die Entfremdung der Lebewesen. Guthmann-Peterson.[]
  8. Garnett, T., Mathewson, S., Angelides, P., & Borthwick, F. (2015). Policies and actions to shift eating patterns: What works? Foresight515, 518–522.[]
  9. Rizzo, N. S., Jaceldo-Siegl, K., Sabate, J., & Fraser, G. E. (2013). Nutrient profiles of vegetarian and nonvegetarian dietary patterns. Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics113(12), 1610–1619.[]
  10. Joyce, A., Dixon, S., Comfort, J., & Hallett, J. (2012). Reducing the environmental impact of dietary choice: Perspectives from a behavioural and social change approach. Journal of Environmental and Public Health2012(June).[]
  11. Fiddes, N. (2001). Fleisch - Symbol der Macht. (3rd ed.). Zweitausendeins.[]
  12. Graça, J., Oliveira, A., & Calheiros, M. M. (2015). Meat, beyond the plate. Data-driven hypotheses for understanding consumer willingness to adopt a more plant-based diet. Appetite90, 80–90.[]
  13. Dagevos, H., & Voordouw, J. (2013). Sustainability and meat consumption: Is reduction realistic? Sustainability: Science, Practice, and Policy9(2), 60–69.[]
  14. Lea, E. J., Crawford, D., & Worsley, A. (2006). Consumers’ readiness to eat a plant-based diet. European Journal of Clinical Nutrition60(3), 342–351.[]

Jay Pendragon

Über den Autor

Jay lebt pflanzenbasiert und ist seit über 15 Jahren kreativ tätig. Von Blog-Artikeln über Werbetexte bis hin zu eigenen Büchern – kein Genre ist vor Jay sicher. Als offen queere und diverse Person setzt sich Jay in eigenen Werken und Drehbüchern für eine inklusivere Medienlandschaft ein.

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